Bee fragte nach Tipps für die Reiselektüre. Da habe ich mir ein paar Gedanken gemacht und festgestellt, dass ich diese in so viele Worte fassen muss, dass die Kommentarfunktion dafür einfach nicht ausreicht. Also mein Beitrag zum Thema: Urlaubslektüre.
Die ideale Urlaubslektüre muss einigen spezifischen Anforderungen genügen, die weit über jene der Standardlektüre hinausgehen.
Im Allgemeinen möchte der Leser im Urlaub entspannen und sucht keine intellektuellen Herausforderungen. Deshalb sollte das Lesen, bei aller sprachlichen Raffinesse, nicht zu anspruchsvoll sein. Gerade die Bücher der peruanischen Autoren, die ich im letzten halben Jahr las, erfüllten diese Anforderung nur ungenügend. Sowohl „Das grüne Haus“ vom preisgekrönten Mario Vargas Llosa als auch „Eine Welt für Julius“ von Alfredo Bryce Echenique bestachen vor allem durch die großzügige Verwendung von Kommata in endlos langen Sätzen. Ich stelle die These auf, dass das ein Merkmal der modernen südamerikanischen Literatur ist, dass die Direktheit von Gefühlen und Gedankenstürmen durch Aneinanderreihung von unvollständigen Halbsätzen Ausdruck finden soll. Es kann aber auch sein, dass der Gebrauch des Gerundiums im Spanischen einfach häufiger ist als im Deutschen und die Übersetzung dem gemeinen deutschen Gelegenheitsleser, wie ich einer bin, deshalb ungewohnt erscheint und auf Dauer anstrengend ist. Das Buch von Vargas Llosa erzählt außerdem von zu vielen Personen mit zu vielen ähnlichen spansichen Doppelnamen, deren Geschichten zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten spielen. Da ich das Buch, nachdem ich mich ungefähr zu zwei Dritteln durchgekämpft hatte, nie zu Ende gelesen habe, weiß ich leider auch nicht, wie die Geschichten am Ende miteinander verknüpft sein könnten.
Außer der sprachlichen und erzählerischen Komplexität sollte der Urlauber auch die Thematik des Buches einer genauen Prüfung unterziehen. Vor allem Kultururlauber, so wie ich das meistens bin, sollten dabei Wert darauf legen im Urlaub nicht gleich wieder in eine komplett andere Welt entführt zu werden. Am Ende meines Myanmar Urlaubs machte ich den Fehler das Buch „Drachenläufer“ von Khaled Hosseini zu lesen. Eigentlich eine gute Idee, denn die Geschichte fesselt und, wie Bücher auf Bestsellerlisten es so an sich haben, die intellektuellen Anforderungen halten sich in Grenzen. Ich lag also am wunderschönen burmesischen Sandstrand, unter subtropischer Sonne mit Blick auf die sanften aber stetigen Wellen des kristallklaren Meeres und fühlte mich in Gedanken mitten in die brutale Realität Afghanistans versetzt, so sehr, dass mich die Mitreisenden besorgt fragen musste, warum ich denn heulen würde. Ergo, schönes Buch, aber eigentlich hätte ich mich besser mehr mit den Lebensumständen der nicht weniger armen Burmesen beschäftigen sollen.
Neben inhaltlichen und sprachlichen Aspekten, stellt der Einsatz als Urlaubslektüre auch besondere Anforderungen an die Form. Schließlich soll insbesondere für Flugreisen, die Gepäckgewichtsgrenze nicht allein durch Bücher gerissen werden. Deshalb sollte das Buch ein angemessenes Gewicht zu Inhalt Verhältnis aufweisen. Diese von mir erfundene Kennzahl wird negativ beeinflusst durch eine große Schriftgröße, einen großen Zeilenabstand oder einen Hardcover-Einband. Positiv wirkt sich eine große Seitenzahl und dünnes Papier aus. Das Buch das ich gerade täglich vor dem Einschlafen in Händen halte, „Caravan“ von Marina Lewycka weist hier leider eine eher schlechte Weight/Content-Relation auf. Die immerhin 380 Seiten sind groß bedruckt, lesen sich äußerst zügig, sind noch dazu ziemlich dick und auch in der Taschenbuchversion in dicken Karton gebunden. Zügige Leser werden das Buch sicher in wenigen Stunden durch haben. Nichtsdestotrotz trotz ist die Geschichte von den ukrainischen Erdbeerpflückern in Kent sehr schön erzählt und absolut empfehlenswert. Vielleicht was für die U-Bahn, weil immer wieder mit praktischen Absätzen gespickt, die häufiges Unterbrechen verzeihen. Die von mir bereits erwähnten Bücher der südamerikanischen Autoren weisen hingegen eine außerordentlich gute Weight/Content-Relation auf. Beide über 500 eng bedruckte, dünne Seiten für die man, aufgrund der angesprochenen Komplexität auch noch lange zum Lesen braucht.
Dies verdeutlicht bereits die Hauptkritik an dem verwendeten Kriterium. Wie andere Kennzahlen reicht auch diese nicht für eine vollständige Bewertung des Untersuchungsobjektes aus. Es müssen also immer noch weitere Kriterien zur Entscheidungsfindung herangezogen werden, wie beispielsweise persönliche Vorlieben, Reiseart und –dauer, sowie die eigene Lesegeschwindigkeit.
So liebe bee. Ich vermute, das hat Dir jetzt nur bedingt weitergeholfen, aber immerhin konnte ich damit mal wieder Content produzieren, der nichts mit Sport oder Fernsehen zu tun hat.
Guats Nächtle
Nachtrag zur Ehrenrettung der peruanischen Autoren: Sehr empfehlenswert fand ich, trotz einiger Längen "Die blaue Stunde" von Alonso Cueto und von Senor Llosa trotz des Titels und der Thematik "Tod in den Anden".
1 Kommentar:
OMG, Controlling und Urlaubslektüre, ich wußte gar net, dasses da ne Schnittmenge gibt. Sehr schön aber der wieder alles relativierende Absatz, man möge andere Entscheidungsfaktoren hinzuziehen.
Spanische/südamerikanische Autoren liegen mir net so (nordamerikanische au net). Werde aber über Fortschritte hinsichtlich der Entscheidungsfindung in Bezug auf die Urlaubslektüre berichten. Und bei der Art von Urlaub, die mir vorschwebt, geht es ganz klar danach, was nach dem Einpacken der Urlaubslektüre noch nach verfügbarem Freigepäckvolumen verfügbar ist. Oder wie ich zum Manne sprach: Ich nehm Deinen Koffer, Du kannst dann ja meinen [viel kleineren] haben.
Mann: ??? Was???
Kommentar veröffentlichen